Peter Brunner über Georg Büchner

Peter: „Und er macht wieder etwas, wieder zum ersten Mal in der deutschen Literatur. Büchner schreibt ein Theaterstück, in dem der Mensch im Mittelpunkt kein Held ist, kein Gewinner, keine zentrale gewinnende Figur, kein General, kein Adliger, kein König und auch kein Gott, sondern ganz im Gegenteil ein Looser.

Der Verlierer Woyzeck wird zum Mittelpunkt dieser Geschichte, die Büchner erzählt. Warum? Weil Büchner wissen will, was das ist, was in uns lügt, stiehlt und mordet. Und weil da Woyzeck gemordet hat und vor Gericht steht und sagt: „Ich weiß es nicht.“ Und dann versucht Büchner, die Geschichte zu erzählen. Wenn man will, darf man Alfons Glück folgen, dem großen Büchner-Forscher, der gesagt hat, man könne Büchners Woyzeck als Gegengutachten zu dem lesen, mit dem er in Leipzig zur Todesstrafe verurteilt wurde.


Büchner erzählt eben, warum dieser Woyzeck sehr wohl unzurechnungsfähig ist und was ihn zu seiner Tat brachte, er lässt uns zusehen, was ihn zu dem macht, was er ist – ein Verlierer. Er hat sich verkauft an einen verrückten Mediziner, der ihn seit Monaten nur mit Erbsen ernährt. Nur ein paar Pfennige bekommt er von seinem Hauptmann dafür, dass er ihn rasiert. In Wirklichkeit aber vor allem, weil der Hauptmann sich über ihn lustig machen will. Seiner Geliebten, die er aus Armut nicht heiraten kann, die ein Kind von ihm hat, trägt er jeden Pfennig, den er verdient, vorbei. Er hat Freunde, die ihn verlachen und nicht ernst nehmen.

Wir sehen Woyzeck, als ob wir durch ein Prisma gucken, immer neu, aus neuer Perspektive, immer scheitern. Und als er am Schluss in seiner völligen Verzweiflung über die Geliebte, die ihn betrügt, statt einen seiner Unterdrücker, sich nicht anders zu helfen weiß, als die Geliebte umzubringen, da haben wir fast verstanden, was ihn dahin gebracht hat.

Was diesen „Woyzeck“ so bedeutend, so wirksam macht, ist, dass er weder Ort noch Zeit kennt – Woyzeck ist Zeitgenosse.

Peter Brunner hat nach einer Buchhändlerlehre in Heidelberg in Frankfurt als Verwaltungsleiter für die Buchhändlerschule gearbeitet und war danach Geschäftsführer im Hessischen Verleger- und Buchhändler-Verband. Später hat er eine kommunale Bücherei geleitet und Sanierung und Konzeptionierung der historischen Villa Büchner in Pfungstadt begleitet. Seit 2017 leitet er das Museum Büchnerhaus in Georg Büchners Geburtshaus.
2008 veröffentlichte er zusammen mit Freunden die Familienbiographie „Die Büchners oder der Wunsch, die Welt zu verändern“. Er betreute und begleitete zahlreiche Aktivitäten und Veröffentlichungen zum Leben und Werk Georg Büchners und seiner Geschwister. Er schreibt das Web-Blog Geschwisterbuechner.de. Brunner ist Gründungsmitglied des Hessischen Literaturrates, der Luise Büchner-Gesellschaft und des Vereins BüchnerFindetStatt.
Das Museum Büchnerhaus in Georg Büchners Geburtshaus in Riedstadt-Goddelau zeigt die Dauerausstellung „Von Goddelau zur Weltbühne“. Besuchern bietet das Museum eine ausführliche Einführung in Büchners Leben und Werk. Dieses Video verschafft einen Eindruck davon. Je nach Intensität, Schwerpunkt und Austausch kann das zwischen 30 und 90 Minuten dauern.
Zahlreiche Schulen besuchen, meist mit ihren Deutschklassen/-kursen, das Museum. Mit der Darmstädter Brecht-Schule ist so ein inzwischen regelmäßiger Austausch entstanden.
Neben der Bedeutung für die Deutsche Literatur ist das Büchnerhaus auch „Ort der Demokratiegeschichte“: eine Station – historisch und geografisch – „zwischen Hambacher Schloß und Paulskirche“. Die Verschwörer des Hessischen Landboten – Georg Büchners Pamphlet „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ – gehören zur republikanischen Bewegung deutscher Jakobiner zwischen der französischen Revolution 1789 und der deutschen Revolution von 1848. Fast alle Mitverschwörer, die den Terror der „Demagogenverfolgung“ überlebten, waren Aktivisten der Bewegung von 1848.
Schließlich, wenn auch nicht zuletzt, war Büchner Naturforscher. Mit einer Arbeit über das Nervensystem der Barbe, eines Flussfisches, ist er der Evolution auf der Spur. Mit 22 Jahren hält er in Zürich seine Antrittsvorlesung als promovierter Privatdozent. Sein Bruder Ludwig schreibt, Georg hätte „der deutsche Darwin“ werden können.
Peter Brunner
BüchnerFindetStatt e.V.
Museum BüchnerHaus
Weidstrasse 9
64560 Büchnerstadt Riedstadt-Goddelau
Tel 06158 1886596
Mail p.brunner@buechnerfindetstatt.de
www.buechnerfindetstatt.de

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